michaela nolte über die rauminstallationen von wiebke maria wachmann
im september 2002
wiebke maria wachmann bringt in ihren rauminstallationen ein bett zum
schweben, baut einen ganzen birkenwald nach, läßt räume
in ihre eigene bodenlosigkeit stürzen, baut zimmer mit künstlichem
blick aufs wasser, läßt ein zweiten, etwas näheren mond
am himmel erscheinen und verdichtet so faszination und unheimlichkeit,
realität und fiktion, konkrete räumlichkeit und flächige
bildwirkung zu ebenso ästhetischen wie ambivalenten emotionen.
dreh- und angelpunkt
ist das illusionistische bild, dem wachmann unbekannte räume erschließt
und so die grenzen von malerei, installation und Fotografie neu definiert.
In der äußersten reduktion und im flirrend summarischen weiß
beschränken sich die rauminstallationen und fotografien jedoch nicht
auf einen rein formalen ansatz, sondern implizieren gleichsam die schattenseiten.
die atmosphärische aufladung, der sog eines lichts, dessen teilchencharakter
zum greifen nah wirkt, denkt immer auch die - menschliche - fallhöhe
mit. der erste blick ist mit der großen geste der überwältigung
kalkuliert: ein strahlendes weiß, das reiner kaum vorstellbar ist,
durchdringt den raum und umflort ein schwebendes bett, einen ewig fallenden
tisch oder fünfzig birkenstämme. das luzide faszinosum entrückt
sie im nächsten moment der vertrautheit und evoziert den abstrakten
gehalt der realen objekte. ist dieses bett ein bett? Ist der "nachbau
eines birkenwalds" ein wald aus bäumen? ist der raum, in den
wir blicken, überhaupt ein raum? oder ist es nur das bild von einem
bett, die imagination eines waldes, die behauptung von einem raum? all
das bleibt in der schwebe, ebenso wie das bett in "ganze tage dazwischen"
auf den lichtwellen zu treiben scheint.
die stabile rückenlage
wird zum grenzfall, der sprichwörtliche boden unter den füßen
führt aufs glatteis. es gibt keinen halt an diesen orten, keine sicherheit.
gravitation und schwerelosigkeit, stofflichkeit und immaterialität,
verdichtung und entgrenzung schwingen in den arbeiten wachmanns in irritierender
simultaneität und breiten sich rhizomartig aus.
die fiktionalen wurzeln
der realen birken oder das wandern eines "mondes" über
den dächern der auguststraße bilden ein eigenes zeichensystem,
das den natur-wie auch den kunst-raum gleichermaßen deterritorialisieren
und sich zu einer faszinierend poetischen über-wirklichkeit steigert,
die die realität als schemen des gehirns reflektiert. marcel proust
setzte das auftauchen einer erinnerung im gedächtnis mit dem entwickeln
einer fotografischen Platte gleich, die zwar schon belichtet ist, aber
bis zum Moment der Entwicklung nur ein latentes bild enthält. wiebke
maria wachmanns räume scheinen erfüllt von diesen latenten bildern,
die vage vergegenwärtigungen - zustände von erinnerung aufrufen.
der zweifel, der diese räume wie eine hauchdünne eisdecke umgibt,
wird zur einzigen gewissheit.
durch das raum-im-raum-gefüge
gestaltet wachmann ihre sehr eigene realität, dessen inszenierung
und architektur aus jeglichem rahmen fällt. hermetisch und grenzenlos
sich ausdehnend zugleich, versetzen die arbeiten den betrachter außerhalb
der gewohnten bezüge, deren unschärferelation von raum und zeit
ein leichtes schwindelgefühl hervorrufen.
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presseresonanz (auswahl):
neue bildende Kunst (nbk), zeitschrift für kunst und kritik, 06.07.1999:
"...wiebke maria wachmann vereint konzept und sinnlichkeit in "ganze
tage dazwischen": ein schwebendes, weißes bett in einem bestechend
weißen raum, ist in gleißendes licht getaucht. der visuelle
zustand, den das grelle weiß und die schattenlose ästhetik
evozieren, absorbieren sinne und realität und führen in eine
eigenwillig lichte und stille welt. kontrapunktisch zur kühlen reduziertheit
wachmanns, aber genauso intensiv, verhält sich die arbeit von chiaru
shiota..."
der tagesspiegel, 30.04.1999:
" ...die 29-jährige konzeptkünstlerin hat einen der räume
in beschlag genommen, eine art liege hineingestellt und ganz in weiße
farbe getaucht. klingt banal, ist es aber nicht. kaum ein dunkler schatten
ist hier zu erkennen, alles strahlt hell und einheitlich, scheint vor
den augen des betrachters zu verschwimmen. ein faszinierendes arrangement,
fast wie ein bild aus einem traum. "ganze tage dazwischen",
so heißt wachmanns arbeit...
taz, 04.05.1999:
"...wiebke maria wachmann hat einen raum in weiß getaucht,
in gleißendes, blendendes, überirdisch helles weiß. in
der mitte scheint eine weiße liege zu schweben. der richtige ort
für eine "near-death-experience" oder ein paar stunden
folter. komischerweise scheint die "visuelle stille" im raum,
die weiße farbe wirklich jeden ton zu absorbieren: eine interessante
synästhetische erfahrung..."
neues deutschland, 25.10.2001:
"...in die unendlichkeit führt der weiße schacht der wiebke
maria wachmann. boden und decke eines kleinen zimmers sind dazu verspiegelt.
daher verlängern sie sich nach oben und nach unten, ohne je anzukommen.
man steht vor einem riss in der welt, der auf grund seiner abgeschiedenheit
gleichzeitig als ruhepol einlädt. an ein pendant von wachmanns arbeit
fühlt sich erinnert, wer die rostigen eisentreppen in die düsteren
gärkeller hinabsteigt. am fuße der treppe breitet sich eine
lache aus. darin spiegeln sich die Stufen und entziehen den Füßen
unvermittelt den boden..."
die welt, 13.05.2000:
"...kalt lässt sie (die kunst) nur, wenn sie die leeren zwischenräume
nicht mit leben füllt, ein stück erfahrung oder beobachtung
nicht in eine neue, eigene form gießt. in dieser hinsicht lassen
barbara caveng, reinhard kühl, wiebke maria wachmann und iepe rubingh
im postfuhramt niemanden kalt. ihre starken arbeiten sorgen dafür,
daß die ausstellung"...und ab die post 2000" hält,
was ihr titel verspricht..."
"...das existentielle im trivialen spürt auch wiebke maria wachmann
auf. sie hat mit zwei spiegeln einen bestechenden raum gebaut. einziges
inventar sind ein umgekippter tisch und ein regal. mit emotionen aufgeladen
wird ihre blendend weiße kunstwelt durch die vielfache spiegelung
der gegenstände. der betracher glaubt ins bodenlose zu stürzen.
sein blick sucht vergeblich halt und purzelt ins nichts. im freien fall
geht es endlos abwärts oder aufwärts, je nach perspektive..."
der tagesspiegel, 15.05.2000:
"...die zukunft glaubte er (t. liljeberg) in der installation von
wiebke maria wachmann voraus zusehen. die von der hochschule der künste
geförderte nachwuchskünstlerin hat ein kleines zimmer mit zwei
spiegeln und gleißend weißen wänden zur metapher reiner
unendlichkeit verwandelt. angesichts des lichthellen, grenzenlosen schachts
forderte liljeberg "in den himmel zu blicken", wo sich das festival
einen platz gesichert habe. allerdings erinnert dieser aufstieg in den
kultur-olymp an das weiße kanninchen aus "alice im wunderland",
das zweckoptimistisch immer nur in eine richtung guckt. dabei geht es
bei wachmann ebenso hinab, hinab, hinab wie bei alices freiem fall in
den kanninchenbau. die poetische intensität ihrer arbeit wird nicht
ausgeschöpft, wenn man die möglichkeit des sturzes nicht sieht..."
ars, (italien), 09/2000:
"...wiebke maria wachmann hingegen erforscht weiterhin den raum und
schafft mit fall einen abgrund auf einem quadratmeter. was bei dieser
arbeit so fasziniert ist unter anderem die extreme einfachheit der technischen
lösungen."
die welt, 21.12.1999:
"...doch wer dem blutroten plakat mit den fünf olympischen ringen
folgt, hinauf in die erste etage, der kann sich schnell geblendet fühlen.
auch im ganz konkreten sinn, - als folge von wiebke maria wachmanns installation
fall. fall ist ein künstlich eingezogenes zimmer, dessen boden und
decke verspiegelt wurden. der effekt ist, dass das minimalistische inventar,
ein weißer tisch und ein regal in grenzenlose tiefen zu versinken
scheinen. und dass der kleine raum gleißend hell erstrahlt..."
fake, nr. 12:
"...rein künstlerisch beeindruckt im sinne von optik & empfinden
war ich am meisten von der rauminstallation "fall " von wiebke
maria wachmann. ein kleiner weißer raum, decke und boden sind verspiegelt,
grelles einfarbiges licht, einziges inventar ein umgefallenes regal der
dem betrachter gegenüberliegenden wand und ein halbierter tisch.
die möblierung wird erst durch die spiegelung zu einem ganzen. schaut
man nach oben, glaubt man nicht, wie weit die scheinbare treppe sich gen
himmel krümmt. schaut man nach unten, sucht man vergeblich halt vor
der unendlichen grenzenlosigkeit, die sich nur durch die absolut clever
eingesetzte struktur des schrankes ergibt, indem sie dem raum tiefe verleiht.
grandios..."
artery, 07/2000:
"...wiebke maria wachmanns installation "fall" dagegen
überzeugte gerade durch die reduktion auf die formen. ein an boden
und decke verspiegelter raum scheint im grellen licht einen unendlichen
fall (oder aufstieg) anzudeuten..."
berliner morgenpost, 09.06.2000:
"...zu den rennern gehören wiebke maria wachmanns existentielles
spiegelkabinett..."
saarbrücker zeitung, 20.07.2000:
"...da hat der weißgetönte birkenwald von wiebke maria
wachmann, über den ein besucher meinte, er sei der helle wahnsinn,
schon andere dimension. er befindet sich in einer anderen festivalstätte,
die durch ihre geschichte und ihren morbiden zustand selbst ein bewegtes
raumobjekt sein könnte...."
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critique / press comments
michaela nolte on wiebke maria wachmann's installations, september 2002
in her installations, wiebke maria wachmann makes a bed float in mid-air,
reconstructs an entire birch forest, turns a room into a bottomless pit,
builds rooms with artificial waterfront views, and puts a second moon
in the sky, slightly closer than usual. in this way, she combines the
fascinating with the uncanny, reality with fiction, concrete three-dimensionality
with two-dimensional visual effects, generating both an aesthetic response
and emotional ambivalence.
the main focus of her
work is the illusionist image, in which she discovers fresh potential,
redefining the borders between painting, installation and photography.
but these installations and photographs - with their extreme reduction
and their shimmering, absolute white - are not limited to a purely formal
approach: a darker side is also implied, since the atmospheric charge,
the pull of a light whose particles seem almost tangible, always constitutes
hazardous (human) territory.
in a calculated gesture,
the first glance is overpowering: a radiant white that couldn't be more
pure permeates the space and drapes itself mistily over a floating bed,
a forever falling table, or 50 birch trunks. but almost immediately, a
mesmeric lucidity robs these objects of their familiarity, evoking the
abstract content of the real objects. is this bed a bed? is the "reconstruction
of a birch forest" a forest of trees? is the space into which we're
looking a room at all? or is it just a picture of a bed, an imagined forest,
something claiming to be a room? all these questions float in the space,
just as the bed in "whole days in between" seems to drift on
the light waves.
lying flat on one's
back changes from a safe option to a touch-and-go situation. the proverbial
ground beneath ones feet becomes a slippery trap. these places offer no
handholds, no security. in wachmann's pieces, gravitation and weightlessness,
materiality and immateriality, compression and limitlessness resonate
together confusingly, sprouting forth like a rhizome.
the fictional roots
of the real birch trees or the progression of a "moon" over
the roofs of auguststrasse constitute their own system of signs that deterritorialises
natural and artistic space to equal degrees, culminating in a fascinatingly
poetic supra-reality that reflects reality as a sequence of brain images.
marcel proust equated
the surfacing of a memory with the development of a photographic plate,
a negative which has already been exposed but which, until the moment
of development, contains no more than a latent image. wiebke maria wachmann's
spaces seem to be filled with these latent images, evoking vague recollections,
states of remembering. the sense of doubt which surrounds these spaces
like a thin blanket of ice becomes the only certainty.
with her rooms within
rooms, wiebke maria wachmann creates a highly individual reality that
defies categorisation on account of its architecture and theatricality.
hermetically sealed and endlessly expansive at once, these pieces deprive
viewers of the usual points of reference, causing a slight dizziness by
blurring the relationship between time and space.
>>> back
press reaction (selection):
neue bildende kunst (nbk), zeitschrift für kunst und kritik, 06.07.1999:
"...wiebke maria wachmann combines concept and sensuality in "ganze
tage dazwischen": a suspended white bed in a startlingly white room,
submerged in a brilliant light. the visual state, evoked by the glaring
light and the shadowless aesthetic, absorbs both senses and reality and
culminates in a unique, silent world. in contrast to the cool minimalism
of wachmann, but just as intensive, is the work of chiaru shiota...
der tagesspiegel, 30.04.1999:
"...the 29-year old concept artist has seized one of the rooms, installed
a kind of bed and submerged it in white paint. sounds banal, but
it isn't. not a shadow is to be made out, everything glows brightly and
uniformly, seems to swim before the eyes of the viewer. a fascinating
arrangement, almost like a picture from a dream. "ganze tage dazwischen"
is the name of wachmann's work.
taz, 04.05.1999:
"...wiebke maria wachmann has submerged a room in white, dazzling,
blinding, supernaturally bright white. A white bed is suspended in the
middle, the right place for a " near death experience" or a
few hours of torture. strangely the "visual silence" in the
room, the white colour, appears to absorb every sound: an interesting
synaesthetic experience..."
die welt, 13.05.2000:
"...it (art) leaves one cold only if it fails to fill the empty spaces
with life, fails to transform experience or observation into something
new. with this in mind, barbara caveng, reinhard kühl, wiebke maria
wachmann and iepe rubingh at the "postfuhramt", leave nobody
cold. their powerful works ensure that the exhibition keeps the promise
made by its title "und ab die post..."
"...wiebke maria wachmann also observes the existential within the
trivial. she has designed a startling room with two mirrors. the only
contents are a toppled table and a shelf. her blindingly white artworld
seems emotionally-charged through the multiple reflections of these objects.
the viewer has the feeling that he is falling into infinity. He tries
in vain to find a fixed focal point and stumbles into the void. and so
it goes on endlessly, in free fall, downwards or upwards, depending on
your perspective..."
der tagesspiegel, 15.05.2000:
"...he (t. liljeberg) thought he saw the future in wiebke maria wachmann's
installation. the artist, one of a younger generation promoted by the
college of the arts (hdK), has transformed a small room with two mirrors
and brilliant white walls into a metaphor for pure infinity. the brightly-lit,
endless shaft, demanded that liljeberg "look heavenward, where the
festivities had begun." moreover, this ascension into the Olympian
culture reminds one of the white rabbit in "alice in wonderland,
which purposefully looks in only one direction." and just as with
alice's freefall down, down, down into the rabbit warren, so it is with
wachmann. the poetic intensity of her work remains inexhausted as long
as the prospect of the fall remains unrealised..."
ars (italy), 09/2000:
"...wiebke maria wachmann, on the other hand, continues to explore
space and, in "fall" creates an abyss in a square metre. one
of the most fascinating things about this work is the extreme simplicity
of the technical solution: familiar, childlike, old..."
die welt, 21.12.1999:
"...whoever follows the blood-red poster with the five Olympic rings
up to the first floor will soon feel dazzled. literally, - due to wiebke
maria wachmanns installation "fall". "fall" is an
artificially erected room, the floor and ceiling of which have been mounted
with mirrors. this produces the effect that the minimalistic contents
of the room, a white table and a shelf, appear to sink into limitless
depths. and that the small room glows brightly..."
fake, nr.12:
"...i was most impressed, in a purely artistic sense and in terms
of perspective and perception, by the installation "fall" by
wiebke maria wachmann. a small white room, ceiling and floor are covered
with mirrors; glaring, monochrome light, the only piece of furniture a
toppled rack of shelves on the wall opposite the viewer and a bisected
table. only due to the reflection do these items of furniture become whole.
when you look up it is hard to believe how far the (apparent) stairs wind
heavenwards. When you look down you search, in vain, for a focal point
in the limitless space, which results from the ingenious structure of
the shelving, lending the room a sense of depth. Magnificent..."
artery, 07/2000:
"...wiebke maria wachmann's installation "fall", in comparison,
worked precisely because of the reduction to basic form. an endless descent
(or ascent) is suggested by covering the ceiling and floor of a room with
mirrors and illuminating the whole with a dazzling light..."
berliner morgenpost, 09.06.2000:
"...one of the successes is...wiebke maria wachmann's existential
hall of mirrors..."
saarbrücker zeitung, 28.07.2000:
"... wiebke maria wachmann's white-hued birch forest, about which
a visitor commented that it was a dazzling spectacle, contains other dimensions.
he finds himself in a different exhibition site, which, because of its
history and its morbid condition, could itself be described as an object
in motion..."
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