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Rainald Grebe besuchte die Havelstadt innerhalb weniger Wochen zum zweiten Mal. Er präsentierte in einer emotionalen Lesung sein Buch „Global Fish“, das 2006 im Fischer Verlag erschien. Von [ice]

Der „Gelbe Salon“ des Fontane-Klub war fast voll, im Rampenlicht saß Rainald Grebe zwischen Flügel, Keyboard und Weihnachtsbaum, im Hintergrund ein roter Vorhang aus Samt. In seiner Geschichte geht es um den frisch gebackenen Abiturienten Thomas Blume, der sein Zeugnis mit 1,0 bestand und auf Reisen gehen wollte. Die Frage war nur wohin? In allen Fächern war er überdurchschnittlich gut, ihn interessiert alles und alle Reiseprospekte sehen gleich aus. Er scheitert unweigerlich in der ersten Prüfung der Erwachsenenwelt, die von ihm fordert, einen einzigen (Lebens-)Weg zu beschreiten. Blume entscheidet sich für eine sonderliche Seefahrt, von einem Tag auf den anderen. Sein letztes Spiel in der Badewanne wird, vor lauter Vorfreude, zur kinderlichen Fantasiereise auf tosenden Wogen, der Abschied von Vater und Mutter zum jugendlichen Alptraum: Die zu hauchdünnem Papier gewordenen Eltern, die sich von ihm nicht lösen können, machen keinen Vorwurf aber leiden sichtlich. Er kann sie wegpusten.

Beim Einchecken auf das Schiff aus dem 19. Jahrhundert, muss er sich von allem verabschieden was ihm lieb ist, die Taschenkontrolle entpuppt sich zum Taschenleeren. Nicht einmal seinen Namen darf er mitnehmen, aber hier entscheidet Blume intuitiv für Tradition. Aus Thomas Blume wird Tom Bloom, ein kleiner Anker auf der folgenden Odyssee.
Ist das Schiff für Tom Bloom allein? Der Kapitän sieht aus wie ein Penner, nein, er ist ein Penner. Tom Bloom wird es mulmig aber auf die „Konsequentweiterbildung“ auf dem Meer aus „Blaublau“ will er nicht verzichten, denn er fragt sich: „Um was geht es im Leben?“ Und hat die Antwort. „Es geht doch nur darum, wirklich was zu erleben“.

Die schwarze Wand im Westen brachte die Wende. Er überlebt „wolkenkratzerhohe“ Wellen, ein Saufgelage und als er, entspannt und pfeiferauchend darüber nachdenkt, „Sturm gemacht, Saufen gemacht, die nächste Prüfung kann kommen“, fällt ein totes Pferd auf ihn. Die Beschreibung, wie das Pferd runterfällt, ist eine Mischung aus Dramatik, Surrealismus und Splatter, ein Mix aus „Matrix“ und „Lucky Luke“. Den Ausgang könnte Pedro Almodóvar verfilmen. Die Zuhörer seufzen als das Tier unten ankam. Die anschließende OP, mit Sägegeräuschen bis zum Beinstumpf, ist reine Zugabe. So eine Beinamputation ist doch kein Beinbruch.

Rainald Grebe las in Fragmenten aus dem ersten Kapitel seines Buches. Als er aufstand war er durchschwitzt, die Zuhörer auch. Auch wenn in seinen Lesungen die theatralische Ader heraussticht, was bei seinem Sprachwitz nicht unbedingt nötig wäre, zeigt Grebe inhaltischen Anspruch und behält eine klare Text-Bildsprache. Die Gradwanderung, zwischen spaßiger Unterhaltung und detaillierten Szenen, wirkt durch die ständigen Pointen unendlich. 428 Seiten hat der Roman, der nicht wie ein Roman klingt, sondern wie ein schriftlicher Comic. „Ursprünglich war nicht beabsichtigt ein Buch zu schreiben, sondern Seemannskitsch“, erzählt Rainald Grebe, „nach 30 Seiten sah es dann aber anders aus.“ Grebe schreibt nur im Sommer und sieht sein Buch durchaus als den Versuch eines Weltentwurfes. „Auch im realen Leben können wir nicht alles durchgängig gestalten, es wird immer mehr wie Zeitarbeit. Aber wenn wir was machen, dann konsequent.“ Damit bewegt er sich auf dem, von politischer und wirtschaftlicher Seite, geforderten Weg möglichst schnell, flexibel und vielseitig zu sein.

2006 wurde Rainald Grebe der renommierte „Deutsche Kleinkunstpreis“ verliehen, er veröffentlichte das Buch „Global Fish“, das er vor elf Jahren als 25-jähriger begann, und will von Schaffenspause nichts wissen: Jetzt arbeitet er wieder an neuen Liedern.

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