LP VACUUM – Record Release

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Die Jungs bestellen sich drei Tannenzäpfle, das weckt natürlich Zweifel, ob sie es ernst meinen mit Rock’n’Roll. Ein mildes Schwarzwald-Bier, bitte, ziemt sich das für eine Band, die gerne mal die Zügel anzieht? Deren Musik so seelenverwandt mit Kurt Cobain, dem großen Melancholiker, klingt? Und die aus ihrem ersten Proberaum, einem christlichen Jugendverein, geflogen ist, weil sich der eine oder andere aus dem ersten Stock einst übergeben musste? Von Lars Grote, Märkische Allgemeine, Mai 2013

Nikaya machen Musik, melodieverliebt und stellenweise meisterhaft, das Tannenzäpfle bleibt ihr einziger Kompromiss an diesem Abend, wie sich zeigen wird. Florian ist Wortführer, Sänger und – wenn man den Pressebildern glaubt – Dandy der Band, die sich vor acht Jahren in Brandenburg/Havel gegründet hat. Florian, wie seine Kollegen Johannes (Bass) und Julian (Schlagzeug), steckt in den frühen Zwanzigern, hat sich auf diesen Bildern als Dame aus der Halbwelt geschminkt.

Florian steckt sich eine französische Zigarette zum Aufwärmen an. Und wenn man sich erkundigt, was die Jungs denn neben der Musik noch tun, dann zeigt er freundlich und entschieden an, dass dies jetzt nicht die Frage sei, mit der man sich näher auseinandersetzt. Womit er wirklich Recht hat, denn Rock’n’Roll kennt keinen Nebenschauplatz. Arbeit, Ausbildung, egal. Es geht jetzt ums neue, zweite Album „Vacuum“, das auf Vinyl erscheint. Vinyl?

Johannes, schlanker, ruhiger Mann am Bass, erzählt: „Vinyl ist ja auch eine Haltung, Vinyl sagt: Wir nehmen die Musik wieder so ernst, wie wir das für angemessen halten. Heute ist Musik leider beliebig, begleitet Essen und Trinken, immer soll sie umsonst sein.“ Florian ergänzt: „Wir machen Musik, weil uns die Sache wichtig ist. Sie ist viel mehr als nur ein Hobby, eben dafür steht Vinyl. Musik war mal ein Werkzeug der Rebellion, dieser Gedanke gefällt uns immer noch.“

Sie haben die Platte aufgenommen im alten Studio der Einstürzenden Neubauten, jenen Avantgardisten um Blixa Bargeld. Das Studio steht im Berliner Wedding, „es sieht benutzt aus“, sagt Julian, „schon die Kratzspuren erzählen: Hier wurde Musik gemacht“.

Anfang des Jahres haben sich Nikaya vier Wochen lang ins Studio gesetzt, raus aus Brandenburg/Havel, wo sie nach wie vor wohnen, „auch wenn dort die Szene für alternativen Rock, zu der wir uns zählen, leider sehr klein ist“, wie Florian sagt. Im Studio haben sie mit Boris Wilsdorf gearbeitet, dem Produzenten, der auch die Einstürzenden Neubauten betreute. „Er hat eine unglaubliche Erfahrung, auch menschlich konnte er uns helfen, in Phasen, als Stillstand drohte“, sagt Florian – Wilsdorf habe gesagt: „Mich zieht nichts mehr runter, ich habe jahrelang mit Blixa Bargeld gearbeitet.“ Bargeld, der auch bei Nick Cave in der Band spielte und durchaus den Ruf der Diva pflegt.

Nikaya haben sich vom Sound der ersten Platte, die vor zwei Jahren erschien, gelöst. Damals waren Synthesizer im Spiel, auf die verzichten sie jetzt. „Vacuum“ ist ein Album, das durch seine gekonnte Härte überzeugt. Die Jungs sind bei sich, spielen aus schierer Lust, technisch versiert, ohne Kompromisse. So gesehen ist das Tannenzäpfle wirklich nur ein Ausrutscher.

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